Algen sind das neue Superfood. Wer den Trend noch nicht kennt, wird das in den nächsten Monaten mit ziemlicher Gewissheit noch erleben. Der Gourmetfood-Scout Otto Koch hat sich diesem Thema gewidmet und zusammen mit Michael Schubaur, Küchendirektor des Münchner Ratskellers und ein langjähriger Mitarbeiter von Otto Koch, im Matthaes Verlagshaus ein Buch namens “Algen und Küstengemüse” veröffentlicht, welches in diesem Umfang mir so noch nicht in die Hände gelangt ist.
Die Neuentdeckung der Algen
Eigentlich ist das Thema Algen nicht so richtig neu. Vermutlich verhält es sich so wie bei der Technik des 3D-Fernsehers. Es gibt immer wieder eine Zeit, wo sich die Algen gegenüber anderen Lebensmitteln durchsetzen und wieder mal stärker in den Fokus geraten. Genau so ist es auch dieses Jahr. Gerade die asiatische Küche boomt, allen voran die der Koreaner. In Berlin haben kürzlich wieder erst drei neue Läden geöffnet. So ist es kein Wunder, dass Algen als “Beiwerk” mit angeschwemmt werden.
Alge ist nicht gleich Alge
Der Umgang mit dem Oberbegriff Algen ist ähnlich dem Obst oder Gemüse. Es gibt unheimlich viele unterschiedliche Algenarten, man geht davon aus, dass es weit mehr als 500.000 sind. Lediglich von 500 weiß man mehr, weil eben der Mensch sie nutzt. Unter anderem als Biotreibstoff.
Will man sich in Europa von Algen ernähren, so sind hierzulande nur ein Bruchteil davon zugelassen. Diese Pflanzengruppe gehört zu einer der artenreichsten Gewächse dieser Welt. Wer den Einsatz als Lebensmittel vorsieht, verwendet sie zumeist in Salaten oder gedünstetem Gemüse. Der Vertrieb in Deutschland läuft zumeist über getrocknete Ware, wohingegen in Asien man sich diese frisch kaufen kann. Die meisten werden die Sorten Nori, Dulde, Kombi oder auch Wakame kennen. Doch die Welt der Algen hat noch so viel mehr zu bieten. Das Buch von Otto Koch soll dabei helfen. Es wird aktiv bei der Neuentdeckung der Alge geholfen.
Wissenswertes über die Inhaltsstoffe der Sorten
So nähert sich das Autorenteam dem Komplex zuerst mit Wissenswertem rund um die Algen. Erklärt wird der weltweite Algenmarkt, der Anbau samt Ernte und Vertrieb. Außerdem werden hier verschiedene Produkte aus dem Rohstoff Alge gezeigt und deren Einsatz beschrieben. Zum Beispiel kommt die molekulare Küche nicht ohne den Einsatz von Algenprodukten aus. Texturgeber wie Agar Agar, Iota oder Kappa sind Exempel für Erzeugnisse auf Rotalgenbasis. Mit diesen können warme und elastische Gels hergestellt werden und das komplett vegan.
Texturen, Texturen, Texturen
“… Agar Agar: Wird aus Rotalgen gewonnen. Das Geliermittel wird in Japan und China bereits seit dem 17. Jahrhundert verwendet, insbesondere zur Herstellung von Süßspeisen. …
Kappa: Kappa ist ein natürliches Geliermittel, das aus Rotalgenarten gewonnen wird. Mit Kappa lassen sich Gelees mit fester Textur und spröder Oberfläche herstellen, wie Gelle- Perlen und Drops. …
Iota: Iota ist ein Geliermittel, das aus Rotalgen gewonnen wird, die an den Nordatlantikküsten sowie den philippinischen und indonesischen Gewässern heimisch sind. Eis ist als Bindemittel und Stabilisator einsetzbar. …” Auszug aus dem Buch
So umfassen die ersten Rezepte vor allen Dingen die Zubereitung von Texturgeber um zum Beispiel Dinge wie Oliven-Spähren, Pesto-Spähren, einen Algenmikrobiskuit oder einen Algen-Reis-Chip herstellen zu können.
Der ein oder andere wird jetzt wieder argumentieren, dass diese Art zu kochen etwas für den hohlen Zahn ist. Hier bildet die Ouvertüre Beispiele für kleine Snacks, kann aber auch gut eingesetzt werden, um durchaus Komponenten von Vorspeisen oder Hauptgängen so mit einer Sphäre zu ersetzen. Das hängt also ganz vom Gusto des Anwenders ab.
Klassiker der Algenküche
Um jedoch dem Leser einen leichten Einstieg in die Algenküche zu gewähren, gibt man sich nach den Snacks den Klassikern hin, bevor die eigenen Weiterentwicklungen der Rezepte offenbart werden. Eine Gemüsesuppe “Mar y Tierra” mit Karotte, Zwiebel, Zucchini und Stangenbohnen samt Gemüsebrühe, jene mit einer Algenmischung abgestimmt ist, kommen ebenso vor wie zum Beispiel ein “Rührei mit Algen” (Algensalat in Olivenöl) oder “Gedämpfter Seehecht mit Algen” (Irish Moos, Wakame, Meeresspaghetti, Zuckerkombu).
Die Rezepte von Otto Koch und Michael Schubaur
Insgesamt war die Anmutung des Buches bisher recht angenehm bis bescheiden, was auch damit zu tun hat, dass zum Beispiel die bis hier aufgeführten Rezeptfotos eher sehr klein (ca. 10cm x 7cm) dargestellt worden sind. Ich hatte schon die Befürchtung, dass sich das Konzept durch das ganze Buch ziehen würde. Doch sah man es wohl offensichtlich vor, die eigene kreative Küche von der klassischen abzugrenzen, um diese dann großformatig und angemessen präsentieren zu können. Die großflächige Darstellung auf einer ganzen Seite steht den Gerichten nämlich sehr gut. So wirkt ein recht klassischer Geschmacksakkord von Lachs und Meerrettich mit Gurke in der hier gezeigten Version sehr modern und bereitet zudem Lust auf das Nachmachen.
Das Thema Alge wird in Form von Gurkenspahetti mit Kraussterntang aufgearbeitet. Dabei wird die Alge zusammen mit den Gurkenfäden in einer Marinade aus Kräuteressig, Olivenöl, Dillspitzen und Pfeffer eingelegt. Das wirkt in sich sehr stimmig und geschmackvoll. Einzig und allein die Tatsache, dass die recht groß proportionierten Lachsstreifen absolut ungewürzt mit dem Meerrettich geschichtet werden, lässt ein vermutlich noch zu würzendes Fischfilet erahnen.
Natürlich auch mit Algen-Smoothie
Wer Superfood anpreist, darf natürlich den Superlativ in dieser Kategorie nicht auslassen. Selbstredend gibt es in im Buch ebenso ein Smoothie-Rezept. Der grasgrüne Shot besteht im Kern aus Meeressalat, Spinat, Paprika und Apfelsaft mit Ingwer. Sieht frisch und wohlschmeckend aus und ist es ganz sicher in der eisgekühlten Version auch.
Suppen, Hauptspeisen & Dessert
Die weiteren Rezepte teilen sich in Kapitel wie Suppen, Hauptspeisen und Desserts auf. Man verfolgt immer wieder den Ansatz, bekannte Gänge wie einem “Irish Stew” mit Algen neu zu erfinden. Bei diesem Urpsrungsgericht erweitert Michael Schubaur das Geschmacksbild mit Kombu.
Ein Backfisch mit Remouladensauce wird zu einem sehr ansprechend “gebackenen Seehecht mit Algenremoulade, Krautsterntang und Irish Moos”.
Es geht auch süß, das zeigen die wenigen aber dennoch nicht zu unterschätzenden Nachspeisen. Eines stammt dabei von Andy Vorbusch. Er kombiniert die Matsubadaki-Lakritz-Alge mit Mandarinen Cremaux und Kombueis. Allein schon der Anblick ist ein Traum.
Grundrezepte und Warenkunde
Die abschließenden Grundrezepte für Zubereitungen einer Consommé, Fischfond und Co. runden zusammen mit der Warenkunde über die unterschiedlichen eingesetzten Algen das Angebot ab. Wer zudem der Küstennahrung angetan ist, wird sich sehr über das Kapitel “Küstengemüse” freuen, welches mit Fotos sind Informationen zu Sorten wie “Eisenkraut”, “Austerblatt”, “Meeresmangold” oder “Salzmelde” ausgestattet ist.
Für wen ist das Buch?
Das Buch richtet sich natürlich an jeden Kochprofi und vor allen Dingen an alle Wißbegierigen in Sachen ungewöhnlicher Lebensmittel. Mit diesem Wissen kann man für eine enorme Vergrößerung der eigenen Bandbreite beim Kochen sorgen. Es werden sich die eigenen Grenzen verschieben, hat man denn noch nie den Umgang mit Algenprodukten praktiziert. Man wird sicherlich nicht bei jeder Sorte einen Salto springen, doch gerade die Algen haben ein enormes Potential, viele Gerichte komplett neuartig aussehen und natürlich auch schmecken zu lassen.
Fazit
Die unterschiedliche Dartstellung der authentischen asiatischen Gerichte mit Algen im Vergleich zu dem Hauptrezeptteil hat mich ein wenig irritiert. Auch empfinde ich die Schriftart als ein wenig zu groß dargestellt. Die Rezepte sind allesamt übersichtlich und die Arbeitsschritte dabei Schritt für Schritt mit funktionalen Absätzen getrennt. So kann man gut navigieren auch wenn man den Blick hin und wieder vom Buch nimmt. Die Fotos der eigenen Zubereitungsanleitungen wirken allesamt hochwertig und sind sauber abgebildet.
Ganz klar ist es für viele ein Buch mit absolutem Mehrwert, die hochwertige Darstellung und der nicht zu abgedrehte Umgang und Einsatz der Algen lassen mich hier eigentlich nur Worte des Lobes finden. So kann ich mir die Küche der Algen auch sehr gut in privaten Küchen vorstellen. Kaufen!